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Dieser Artikel erschien
- leicht gekürzt -
am 21.06.2000 im
Tagesspiegel,
Berlin
.Spielen, spielen, spielen und nicht an die Rechnung denken
  - Im Selbstversuch: 30 Stunden das Online-Adventure "Ages of Kings" mit 5000 anderen Spielefreaks daddeln
Das Internet als Mutterersatz. Realitätsflucht aus der Gesellschaft. Computerspiele und Chatten machten abhängig. 16 Stunden online sei keine Seltenheit. Die Psychologen warnen davor, dem Spieltrieb online zuviel Raum zu geben. Genug Gründe für einen Selbstversuch: drei Tage lang, rund 30 Stunden, online spielen, spielen spielen und nicht an die Telefonrechnung denken. Worin liegt der Reiz? Wer sind die Leute, die mitspielen? Gibt es Risiken und Nebenwirkungen?

Als Spielwiese dient der heimliche Renner unter den Computerspielen: "Ages of Kings" in der neuesten Version. Man braucht nur die CD-Rom des Spiels, einen Internet-Zugang, einen Browser. Täglich tummeln sich bis zu 5000 Menschen gleichzeitig in der virtuellen Spielzone von Microsoft. Der Spieler meldet sich unter einem Pseudonym an. Und schon geht es los.

"Ages of Empire" ist ein Kriegsspiel. Ein Dutzend Szenerien stehen wahlweise zur Auswahl: felsiges Hochland, Inseln, Mittelmeer, Küste, "Dunkler Wald", ein karges "Arabien". Zu Beginn, in der "Dunklen Zeit" wuseln ein paar winzige Bauern um das hölzerne Dorfzentrum. Die Landkarte bleibt schwarz und muss von Spähern erst erkundet werden. Man weiss nicht, wo der Feind steckt. Der Spieler schickt die Bauern zum Holzhacken, Felder bebauen, Gold- und Steine sammeln. Je mehr Rohstoffe man hat, um so mehr kann man sich "entwickeln" und verfügt dann über neue Techniken. Das Spiel endet in der "Imperialzeit", die waffentechnisch ungefähr dem 16. Jahrhundert entspricht.

Das Ambiente ist detailliert und liebevoll ausgestattet: winzige Fische springen in den Tümpeln aus dem Wasser, Bäume fallen stilvoll um, wenn eine Axt in sie schlägt, Wölfe heulen in den Wäldern und fallen harmlose Wanderer an. Die virtuellen Personen, Weiblein und Männlein, geben putzige Töne von sich. Die "fränkischen" Bauern antworten auf einen Befehl per Mausklick in einer Art Altfranzösisch. Wählt man die Sarazenen, reden die rudimentäres Arabisch. "Jägere" heisst bei "teutonischen" Bauern: "ich gehe zur Jagd". Trifft das Bäuerchen aber auf ein winziges Wildschwein, geht es ihm schlecht. Das Schwein quiekt herzerweichend, aber der Jäger ist anschliessend tot. Man braucht drei, um den wütenden Keiler zu Nahrung zu verarbeiten. Nach einer halben Stunde und geschickt koordiniertem Arbeitseinsatz der Bauern besitzt ein Spieler diverse Kriegsmaschinen, Schleudern, Katapulte, Burgen, Kavallerie- und Infantrie-Gattungen und kann unter grossem Getöse den anderen Mitspielern zu Leibe rücken.

Bei acht Mitstreitern und jeweils 200 winzigen Computergeschöpfen wird das Getümmel schnell unübersichtlich. "Ages of Kings" ist so komplex wie ein Schachspiel: Jede der Zivilisationen, Türken, Perser, Franken, Japaner, Chinesen, Byzantiner, hat besondere Vor- und Nachteile. Die Eliteeinheiten der Wikinger, Huskarl, eine stecknadelkopfgrosse Schwarzenegger-Version, lassen sich zum Beispiel nicht mit Bogenschützen bekämpfen. Die Kriegselefanten der Perser, die drohend trompeten und wütend die Rüssel heben, brechen Mauern und stampfen die Infantrie zu Boden, können aber von Mönchen, die die Arme heben und eine Art gregorianschen Singsang von sich geben, leicht "bekehrt" werden. Die Elefanten wechseln die Farbe und wenden sich dann gegen die eigenen Leute. Ein guter Spieler studiert vorab das Handbuch, eine sinnfreie, aber anspruchsvolle Aufgabe.

Wer spielt mit wem? Ohne soziale Kompetenz hat man keine Chance. Und die muss man zuerst lernen. Man loggt sich einen einen der rund 50 Räume, in denen jeweils bis zu 250 Spieler warten. Die Software zeigt den Status den Mitspieler: wer sich umschaut, wer wartet und wer gerade spielt. TeutonBlizzard, DaleWalker, SuomiPolka, asianforces, PigBird - Namen sind, man erwartet es nicht anders, Schall und Rauch. Dazu die "Hosts": Rechner, die jeder per Button anklicken und auf denen man "Age of Kings" spielen kann. Ein Java-Applet des Browsers stiftet soziale Beziehungen: per Mausklick rechts befördert man einen Spieler zum "Freund". Der wird immer separat angezeigt, als meldete das Handy gleich die Namen aller Bekannten auf dem Display, beträte man eine Kneipe. Mit allen Spielern darf man privat oder öffentlich chatten, gesetzt den Fall, die haben sich selbst nicht in den Status "will nicht gestört werden" versetzt.

Hinein in’s Spiel 40. Dort wartet LordLancelot. Links die "gesetzten" Voreinstellungen, unten ein Menü zum Chatten. "Hi". "Hi." Die Sprache verwandelt sich in ein kosmopolitisches Piding-Englisch. Chat-Sprache ist wie die Kunstsprache der Zukunft aus dem SF-Kultfilm "Blade Runner". Warum vier Buchstaben, wenn auch einer reicht? "Okay" heisst schlicht "k", "where are you from": "whre u fr". "Wuz up": Was ist los? Grammatik und Rechtschreibung gibt es nicht. Nur schnell muss es gehen. Wer einen virtuellen Raum betritt, entscheidet sich in einer Sekunde, ob er bleibt. Sind die Voreinstellungen des Spiels unattraktiv, findet der Spieler niemanden, der mitspielt. Angebot und Nachfrage regeln alles. Der "Besitzer" eines Hosts muss die Eintretenden in wenigen Augenblicken von sich einnehmen und über Smalltalk an sich binden. Antwortet der Neue nicht auf "hi", ist das ein sozialer Affront. Kommt jedoch auf "whre ar u fr" ein: Brisbane, Australia, oder Sevilla, Spain, hat der Köder gewirkt. "Rdy?" "y".

Ein arroganter Verkäufer ruft virtuell: Passen dir meine Vorlieben nicht, kannst du draussen bleiben. Ein freundlicher Anbieter: Options können ausgehandelt werden. Jeder findet seine Kunden. Man spielt meistens "2vs2", zwei Teams gegeneinander, oder gar vier gegen vier. Das kann "laggy" - langsam - sein: Der Host koordiniert die Rechner und macht deshalb zwangsweise viele Pausen während des Spiels. Wer beim Chatten zuschaut, lernt den Jargon schnell. FFA: free for all - jeder gegen jeden. "No quitters, no rookies, no laggers, no ping sub 900." "Ping" (in Millisekunden) heisst: wie gut ist die Verbindung? Der Ping wird angezeigt: erscheint nur ein rotes Rechteck neben den Namen des Spielers, ist sein Rechner langsam, viele Millisekunden. Ein arroganter "Host" befördert ihn per Mausklick ("Spieler ignorieren") in’s virtuelle Nirvana. Boot the worst Ping! Der Ping ersetzt Charme, Äusseres und Charakter, die im real existierenden Leben eventuell eine Rolle spielen. Zwischenmenschlicher Kontakt, reduziert auf das (Un-) Wesentliche. Mann oder Frau, wer weiss es genau? Im Zweifelsfall: nur Männer. Oder nennt sich etwa eine Frau "Ursin the Evil"?

Ein Blick: Gefällt mir "Black Forest"? "Random game" kann bedeuten: Regicide, Conquest oder Deathmatch. Königsmord - wenn der feindliche Herrscher umgebracht wird, ist das Spiel aus. Deathmatch: jeder hat schon zu Beginn eine riesige Rohstoffmenge, es kommt nur darauf, möglichst schnell Kriegsgerät zu bauen. Blitzkrieg also. Nichts für Anfänger. Anfänger heissen, das lernt man schnell, "rookies".

In Raum 20 wartet ein einzelner Spieler, keine Voreinstellungen. I am from Ulea, Sweden. Berlin, Teutonia. Und ein Smiley, :-). Man grinst sich virtuell zu. I am a slow rookie. Ein bescheidener Anfänger. Go. Der Schweder wählt die Wikinger, zufällig erscheint eine Version "Inseln". Let’s go. Leichtes Herzklopfen. Es kommt darauf an, schneller zu sein als der Gegner. Alle Bauern zum Holzfällen. Die antworten japanisch, aber sind gehorsam. Fischerboote fischen, Wellen schäumen, die Welt ist noch friedlich. Wo sind die Wikinger? Feudalzeit entwickeln, Insel erkunden, Galeere ausschicken. Im Norden. Es rührt sich nichts. Ein Männlein heimlich per Boot auf der Feindesinsel aussetzen. Im Gebüsch eine Burg bauen. Angst um das Männchen. Es hämmert und klopft, aber der Feind bleibt ahnungslos. Ablenkung: ein paar Galeeren verwickeln den Schweden auf der anderen Seite in eine Seeschlacht. Es kracht, Schiffe versinken blubbernd. Imperialzeit. Das Männlein hat die Burg fertig. Jetzt ein paar Tripoks, hölzerne Schleudern, ein Dutzend Samurai, gepanzerte Reiter. Der Schwede ist noch nicht so weit entwickelt. Angriff. Die überlegene Waffentechnik siegt. Who old are you? chattet der Unterlegene. I am 14. Greetz from Sweden. Aufatmen. Spannend war’s. Aber 20 Stunden lang?

Natürlich. Richtig hektisch wird es, gegen Experten zu spielen. Vier gegen vier. Arabien: Palmen, Sand, wenig Rohstoffe. "ICV-Vegetab_B", was auch immer das Pseudonym bedeuten soll: Seine Bauern schleichen sich heimlich ins Hinterland des Gegners und bauen dort Militäranlagen. Ein Spieler wechselt plötzlich die Fronten. Voreinstellung war: "cheats yes". Verrat erlaubt. "ICV" kennt das Handbuch von "Ages of Kings" vermutlich auswendig und attackiert gewieft wie der Landsknechtsführer Georg von Frundsberg. eine Welle Plänker, die die eigenen Reiter mit Speeren überschütten. Der Gegenanriff scheitert kläglich: Bogenschützen und Onager warten im Gesträuch. Im Hinterhalt singen Mönche und heilen die Krieger des Feindes.

Ein Spiel dauert oft zwei Stunden und mehr. Es kann doch nicht so schwierig sein, gegen halbwüchsige Kandadier, Koreaner oder Australier zu gewinnen? Ist es aber doch. Man muss es schon deshalb noch einmal versuchen, weil man sich über die eigenen taktischen Fehler ärgert, die man beim nächsten Mal garantiert nicht noch einmal macht. Dafür macht man andere. So müssen sich Lehrer mit hoher pädagogischer Kompetenz fühlen, denen die Neuntklässler per Internet zeigen, was eine virtuelle Harke ist.

Endlich, am zweiten Tag, 18 Stunden online: Ich, (Teutonen), siege zusammen mit einem 16jährigen Briten, (Chinesen), gegen zwei Spanier (Byzantiner, Kelten). "U are good", chattet der junge Mann. "I put u to my friends." Ich bin stolz.

Ages of Empires II
Link zu Ages of Empires

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