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Dieser Artikel erschien,
leider erheblich und
sinnentstellend gekürzt,
am 3.8.2000 im Berliner
Tagesspiegel
.Die Wahrheitsbehörde - eine Illusion
 

- Rechtsextremismus im Internet: Verbote sind kaum möglich - meist sind noch nicht einmal die Urheber zu ermitteln. [Gemeint ist das Gegenteil: die Urheber sind fast immer zu ermitteln - der Autor ist jedoch nicht verantwortlich für die Überschriften]

Wer eine Frage richtig stellt, hat oft schon die halbe Antwort. Die Debatte um Rechtsextremismus im Internet produziert jedoch ausschliesslich heisse Luft. Cornelia Sonntag-Wolgast, Staatssekretärin im Bundesinnenministerin, kämpft an der vordersten Front der zu Zeit populären Komparative: härteres, wirkungsvolleres Vorgehen, weniger, ja null Toleranz. Höher, besser, weiter gegen das Böse und den virtuellen Hass. Wer das für das World Wide Web oder das Usenet fordert, weiss nicht, wovon er oder sie redet.

Meinungsdelikte, also auch hierzulande verbotene rassistische und antisemitische Propaganda, sind in den USA nicht strafbar. Dortige Provider zeigen sich gegenüber Anfragen der Strafverfolgunsbehörden aus Deutschland, die Namen ihrer Kunden betreffend, hartnäckig verschlossen. Das wird sich nicht ändern, solange die US-Amerikaner nicht die Grundwerte ihrer Verfassung ändern oder das "First Amendment" abschaffen, das das Recht der ungehinderten freien Rede besonders schützt. Umgekehrt verzichten die Deutschen auch nicht auf den Schutz privater Daten, der hier höher bewertet wird als jenseits des Atlantiks. Fazit: jeder deutsche Nazi wird auch in Zukunft jederzeit verbreiten können, was ihm passt. So what?

Populär, weil sinnfrei, ist auch, eine "Selbstverpflichtung der Provider" zu fordern, gegen Verbotenes vorzugehen. Die besteht schon in Form der Gesetze. Wer auf deutschen Websites publiziert, ist ausnahmslos identifizierbar, auch sein Provider. Und der muss den Namen des Kunden, falls der sich online nicht zu erkennen gibt, an die ermittelnden Behörden weitergeben. Für das Usenet und für Diskussionen in Echtzeit, den Chat, gilt jedoch: Hier kann jeder mit geringem Aufwand anoynom Verbotenes verbreiten. Das ist per Definition so, technisch nicht anders möglich und gehört zu diesem Teil des Internets wie eine Tür zu einem Haus. Wer unter einer gefälschten E-mail-Adresse schreibt, bleint anonym, betätigt sich also als blosser Provokateur, ist aber auch nicht per E-Mail zu erreichen. Was also noch?

Sollen die Firmen, die einen Internet-Zugang anbieten, nach Gutdünken legale Inhalte vom Netz nehmen? Oder will das Innenministerium eine Wahrheitsbehörde einrichten, die vorgibt, was online verbreitet werden darf oder nicht? Nazi-Propaganda ist nur dann strafbar, wenn sie gegen Gesetze verstösst. Die sind in Deutschland härter als in jedem anderen Land der Welt, selbst als in Israel. Irgendwann, nach den vielen Steigerungen, noch härter, noch härter, kommt das Ende der Fahnenstange. Dann bleibt nur noch: Rübe ab.

Oder will man eine Bevölkerungsgruppe, die die Obrigkeit bestimmt, die Grundrechte verweigern? Auch Kinderschänder haben das Recht auf einen Anwalt. Das Menschenrechte der Meinungsfreiheit, die Grundrechte auf Freizügigkeit und der Versammlungsfreiheit sollen nicht für Neonazis gelten? Und wer bestimmt, wer ein Rassist oder Neonazi ist? Etwa die Obrigkeit? Gott bewahre.

Die gegenwärtige Debatte hat einen Effekt, der sich auf das gesunde Volksempfinden auswirkt: Sie beruhigt das Gewissen. Jeder darf einmal aussprechen, woher das Böse seiner Meinung nach käme. Alle tummeln sich auf dem weiten Feld des Kulturpessimismus. Wer oder was ist schuld am Rechtsextremismus? Sozialer Frust, Orientierungslosigkeit, Lehrstellenmangel, Langeweile, fehlende Väter, Sozialabbau, Arbeitslosigkeit - Zutreffendes bitte ankreuzen. Aus dem Wust der hohlen Phrasen des öffentlichen Diskurses bedient sich jeder und je nach politischer Couleur anders.

Die Demokratie hat mit dem Internet eine furchtbare und scharfe Waffe gegen ihre Feinde in der Hand. Die freie Gesellschaft kann beweisen, dass sie selbstbewusst genug ist, im Kampf gegen ihre Gegner nicht zu Mitteln greifen zu müssen, die ihren demokratischen Idealen und Prinzipien widersprechen. Der Ruf nach Verbot und Zensur ist immer und ausnahmlos ein Zeichen der Hilflosigkeit. Das Internet zwingt zu dieser Einsicht, denn Zensur ist dort unmöglich. Wer sich selbst der schärfsten Waffe gegen seine Feinde entledigt, der ist, in der Sprache des Internets, ein DAU, ein dümmster anzunehmenden User.

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