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Erschienen im TIP Berlin
08.10.2003
.Todesspiel

Die Polizei gibt sich Mühe mit den unerwünschten Migranten. Rafael Batoba, ein politischer Flüchtling aus dem Kongo, kam am 30. August in den Genuss einer Sonderbehandlung: der Bundesgrenzschutz fuhr ihn bis nach Belgien, um den Ausländer rauszukriegen. Die holländische Fluggesellschaft KLM hatte sich im Mai geweigert, den heftig protestierenden Batoba irgendwo in Afrika abzusetzen. Air Gabun flog ihn nach Kinshasa in die so genannten "Demokratischen" Republik Kongo, das Land der Kindersoldaten. Die belgischen Behörden sind bei Abschiebungen für deutsche Behörden hilfreich, weil nicht zimperlich. Bisher hat es vier Tote gegeben: Aamir Ageeb, Kola Bankole, Marcus Omofuma und Samira Adamu starben während der Abschiebung im Flugzeug.

Das schreckt ab. Das ist auch den Sinn der Sache. Wer die deutsche Leitkultur kennenlernen will, muss sich in Berlin-Grünau im "Abschiebegewahrsam Köpenick" umsehen. In dem ehemaligen Frauengefängnis der DDR saß Raphael Batoba monatelang ein. Vielleicht war er naiv: im Mai diesen Jahres sprach er bei der Ausländerbehörde vor. "Er hat sich immer an die Meldeauflagen gehalten", erklärt sein damaliger Anwalt Bernward Ostrup. Die Behörde ließ ihn verhaften. Offenbar rein prophylaktisch: er sei ja vorher "untergetaucht." In Köpenick sitzen Richter des zuständigen Amtsgerichtes Schöneberg. Man arbeitet mit der Ausländerbehörde jahrelang vertrauensvoll zusammen. Die Richter müssen prüfen, ob die Haft für Menschen ohne oder mit dem falschen Pass gerechtfertigt ist. Der kongolesische Oppositionell kam vor elf Jahren nach Deutschland, sein Asylantrag wurde letztlich abgelehnt. Dass die Richter der Ausländerbehörde widersprechen, kommt so gut wie nie vor.

Das rechtsstaatliche Verfahrren mit dem Ziel "Ausländer raus" ist kompliziert. Die Abschiebehaft kann bis zu sechs Monaten dauern. Der unerwünschte Ausländer soll mit den deutschen Behörden zusammenarbeiten, wenn es Zweifel an seinen Personalien gibt. Dieter Ziebart, der Gefängnisseelsorger im Abschiebegewahrsam Köpenick, schildert den aktuellen Fall eines minderjährigen Analphabeten von der Elfenbeinküste, den er gerade betreut. Der Afrikaner besitzt keine gültige Geburtsurkunde. Er weiß gar nicht, was das ist. Wenn er die nicht beschaffen kann, gilt das als mangelnde Kooperation. Dann kann der Knast bis zu achtzehn Monate dauern. Anwälte wie Bernward Ostup, die den Paragrafen-Dschungel des Ausländerrechts entwirren müssen, kommentieren zynisch: "Für die Ausländerbehörde ist das eine Art Sport." Pfarrer Dieter Ziebarth: "Der Ermessensspielraum der Behörde wird immer gegen die Ausländer ausgelegt." Die Behörde verstehe sich als Abschiebebehörde, nicht als Behörde für die Belange von Ausländern. Ziebart hat gerade durchgesetzt, dass Minderjährige nur drei Monate inhaftiert bleiben.

Im Frühjahr rebellierten die Häftlinge gegen die unhaltbaren Zustände. 68 Gefangene traten in den Hungerstreik. Die Zahl der Suizidversuche stieg rapide an. Die Abschiebehäftlinge verletzten sich selbst, versuchten sich zu erhängen, einige schnitten sich mit Rasierklingen oder Dosenblech die Arme und den Bauch auf, schluckten Metallteile, die sie von den Fenstern abmontierten. Slava A., nach eigenen Angaben 22, war einer der Anführer. Er stammt aus Moldawien. Vielleicht aber auch nicht. Der junge Mann wird heute in Deutschland geduldet, wie lange, steht in dern Sternen. An seinen Armen sieht man noch die Narben der Schnitte. Wie oft er schon versucht hat, nach Berlin zu kommen, weiß er nicht mehr. Er ist aus eigener Erfahrung Experte der illegalen Immigration: "Du musst in Transnistrien gemeldet sein und in Moldawien leben", sagt er. "Dann blickt keiner mehr durch, die moldawischen Behörden arbeiten nicht mit den deutschen zusammen." Man müsse nur sofort den Pass verschwinden lassen, wenn man deutschen Boden erreicht habe. Jeder kennt die Regeln des manchmal tödlichen Spiels: Wer keinen Pass hat und aufgegriffen wird, kommt in den Knast. Von einigen Ländern weiß die Ausländerbehörde, dass dorthin nicht abgeschoben werden kann, wie zum Beispiel nach Algerien. Man muss eben die sechs Monate im Gefängnis durchhalten, bis man geduldet wird. Böse Zungen nennen den Abschiebegewahrsam auch "Passerzwingungshaft".

Die "Antirassistische Initiative e.V." (ARIC) hat die Situation in Berlin-Grünau nach dem Hungerstreik im Frühjahr ausführlich dokumentiert und zahlreiche Fälle aufgelistet - Gruseln garantiert. Wie der des Ukrainers Ivan R.* Der klagt plötzlich über heftige Schmerzen in Bau und Brust. Ihm ist übel und er bekommt keine Luft mehr. Der Krankenpfleger verabreicht Tropfen. Der Zustand ändert sich nicht. In der Nacht ruft der Häftling die Polizei an und bittet, ihm einen Arzt zu schicken. Nichts passiert, ein Beamter des Abschiebegefängnisses droht ihm mit einer Anzeige. Ivan R. erbricht blutigen Schleim. Zwölf Stunden nach den ersten Symptomen kommt eine Ärztin, die krampflösende Zäpfchen verordnet. Die Mitgefangenen machen den Gefängnisseelsorger auf den Zustand des Kranken aufmerksam. Der krümmt sich vor Schmerzen auf dem Bett. Der Pfarrer informiert ein ärztliches Mitglied im Beirat der Anstalt. Aber es geschieht immer noch nichts. Der Gefangene bittet die anderen Häftlinge, die Zelle zu verlassen und zündet sein Bettzug an, um auf seine unerträglichen Schmerzen aufmerksam zu machen. Jetzt werden ihm beide Hände mit Handschellen auf dem Rücken gebunden. Seine Bitte, ihn nur meiner Hand an einen Beamten zu fesseln, weil er sich den Bauch halten müsse, wird abgelehnt. Ein Polizeiwagen fährt in ins Krankenhaus Köpenick. Erst dort ordnet eine Ärztin an ihn loszubinden. Diagnose: ein Herzinfarkt. Ivan R. wird durch die zu späte Behandlung irriversible Herzmuskelschäden behalten.

Bis zum Sommer konnte man die Haft im Abschiebeknast verkürzen, wenn man versuchte sich umzubringen - ein heikles Thema für alle Beteiligten. Peter Fleischmann, Pressesprecher des Berliner Innensenators, vermutet sehr salopp, viele Suizidversuche seien nur vorgetäuscht. "Man muss eben damit rechnen, dass es schiefgeht." Seitdem die Ausländer, die sich selbst verletzt hätten, in das Haftkrankenhaus Moabit überwiesen würden, wäre die Zahl der Suizidversuche zurückgegangen. Christian Jellinek, Arzt in Neukölln, sieht das anders. Er hat zum Beispiel den Abschiebehäftling Zoran P. behandelt. Der 31järige Rom aus Serbien, verheirateter Vater eine dreijährigen Tochter, hatte als Strassenkind extreme Gewaltterfahrungen gemacht und mehrfach versucht sich umzubringen. Er verschluckte im Abschiebegewahrsam aus Verzweiflung mehrere Rasierklingen. Der Arzt bescheinigte eine "posttraumatische Belastungsstörung". Das Krankenhaus Hedwigshöhe, wo er kurzfristig behandelt wurde, diagnostizierte, der Patient sei "zur Zeit aus psychiatrischer Sicht nicht haft- und verwahrfähig", Man steckte den psychisch labilen Mann im Abschiebeknast in eine Isolierzelle, in der Tag und Nacht Licht brannte. Zoran P. wurde Ende Juli abgeschoben. Die Kosten für die Abschiebehaft von mehr alks 10000 Euro müsste er zahlen, falls er es wagte, jemals wieder seinen Fuß auf deutschen Boden zu setzen.

Christian Jelinek zu der Frage, ob Ärzte im Haftkrankenhaus Moabit anders behandelten: Die Mediziner dort stünden unter der Fachaufsicht der Justiz und seien "den Regeln des Knastes unterworfen." Wozu das führen könne, zeige das Beispiel Volker Leschhorns. Der Medizinaldirektor, Chef der inneren Abteilung und stellvertretender Leiter des Krankenhauses der Berliner Strafvollzugsanstalten, weigerte sich in den achziger Jahren, Häftlinge zwangweise zu ernähren. Das anschliessende Mobbing seitens der Behörden hielt er nicht aus, der Arzt tötete sich selbst.

Die Proteste der Häftlinge in Köpenick haben durch ihren Protest einiges erreicht: Die Trennwände wurden herausgenommen. Schon im Juli 2001 war auf Beschluss des Abgeordnetenhauses beim Innensenator eine "Arbeitsgruppe Humanisierung" eingesetzt worden. Pressesprecher Peter Fleischmann kann zahlreiche Verbesserungen aufzählen: Teeküchen auf allen Stationen, abschließbare Schränke, Duschabtrennungen, Aufenthaltsräume, sogar Tischtennisplatten. Das bestätigt auch der Gefängsnispfarrer Dieter Ziebart: die Verbesserung habe "die Luft rausgenommen." Es gebe weniger Beschwerden. "Aber für den, der in seiner Heimat umgebracht würde, ist das wohl eher zweitrangig." Die lange Haft und die Ungewissheit machten zahlreiche Menschen krank. Viele Häftlinge verstehen gar nicht, warum sie im Gefängnis sind.

Am 30. August war der bundesweite Aktionstag gegen Abschiebehaft. Die Internationale Liga für Menschrnechte und der Flüchtlignsrat Berlin wiesen darauf hin, "dass die im Artikel 1 des Grundgesetzes postulierte Würde des Menschen für Flüchtlinge in unserem Land keine Wirkung entfaltet." Die Menschenwürde von "Asylbewerbern, Kriegsflüchtlingen oder illegalisierten Menschen" werde nach wie vor verletzt. Das System, Menschen mit ungeklärtem Aufenthaltsstaus in Haft zu nehmen, sei eine unverhältnismäßige Grundrechtseinschränkung." Im Zusammenhang mit der Furcht vor der Abschiebung in eine ungewisse und als bedrohlich wahrgenommene Situation seien sind in den letzten 10 Jahren in Berlin acht Menschen zu Tode gekommen.

Der Kongolese Raphael Batoba hat Glück gehabt. Nach neuesten Informationen seines ehemaligen Anwaltes kann er sich in Kinshasa frei bewegen. Sein Fall wurde in Berlin von allen Lobbygruppen benutzt. Der Berliner Innensenator Körting "spielte den Ersatz-Beckstein". So formuliert es Volker Ratzmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen. Er bezeichnet das Verhalten der Innenbehörde als "skandalös." Petra Pau, MdB: "Allein der Versuch, Raphael B. in den Kongo abzuschieben, verstößt meiner Ansicht nach gegen den Geist des rot-roten Koalitionsvertrages in Berlin." Aber das interessiert niemanden. Und warum zahlreiche andere, weitaus schlimmerere Fälle nur selten in die Medien kämen, ist vermutlich nur zufälllig so. Anwalt Bernward Ostrup: "Der Kongo war gerade aktuell. Und es war Sommerloch."

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