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Dieser Artikel erschien - stark verändert durch die Redaktion - am 25.04.2001
im Berliner Tagesspiegel.
.Nicht die rechte Verbindung

  - Mit 13 Jahren ist er in die rechte Szene geraten. Später baute Michael Petri sogar eine eigene Truppe auf. Dann war plötzlich Schluss. Ganz ohne Aussteiger-Programm, aber mit Hilfe von Freunden und Familie. Bericht eines leisen Abschieds.

Michael Petri, 28, hält rein gar nichts von Aussteigerprogrammen für Neonazis. Das ist schade für Otto Schily. Vielleicht hätte der Innenminister Petri fragen sollen, wann, warum und wie sich jemand aus dem braunen Milieu löst. Michael Petri galt seit Anfang der neunziger Jahre als einer der führenden Kader der Neonazis, war Chef der "Deutschen Nationalisten", einer militanten rechtsextremistischen Politsekte, zählte viele prominente Neonazis zu seinen Freunden und nahm an zahlreichen konspirativen Treffen des "inneren Kreises" teil. Diese Zeit ist vorbei. Petri ist ein so genannter Aussteiger. Er verdient heute viel Geld mit einer "Flirtline" - ein seriöse Umschreibung für Telefonsex - und hat wenig Interesse, der Öffentlichkeit mitzuteilen, was ihn dazu bewogen hat, sich aus der rechten Szene zu lösen. Er will sein Gesicht auch nicht für das Gute, Schöne und Wahre hergeben. Das macht ihn sympathisch. Wer spürt, das es oft nur peinlich wirkt, wenn die Guten sich untereinander symbolisch zeigen zu den Guten zu gehören, hat auch ein Gefühl für Scham.

Ein Bruch in der Lebensgeschichte, der Wechsel der weltanschaulichen Eckdaten, ist immer ein langsamer, oft jahrelanger und qualvoller Prozess. Geht er gut aus, ist der Betreffende fähig, sich selbst zu beobachten, die emotionale Entwicklung zu reflektieren. Gelingt das nicht, bekämpft man das, was man selbst war, mit dem Hass des Konvertiten - ein klassisches Aussteigerproblem. Es war noch nie glaubwürdig, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben. Michael Petri kann nicht genau sagen, warum er sich verändert hat. Aber das Puzzle der biografischen Details setzt sich in der Rückschau zu einem Bild zusammen, das erklärt, warum jemand die Chance hat, sich von einem verbohrten rechtsextremistischen Fanatiker zu jemandem zu wandeln, der "links von der CDU" steht und Nationalstolz für etwas hält, das für ihn "keine Bedeutung hat."

Petri kommt aus einem guten Elternhaus. Der Vater ist Beamter und schickt seinen Sohn auf das Gymnasium am Kurfürstlichen Schloss zu Mainz. Nach der Fachhochschulreife macht Petri eine Lehre zum Speditionskaufmann und wird danach von der Firma übernommen. Im Unterricht hatte er von einer "Nationalen Sammlung" gehört, einer Gruppe von hessischen Neonazis um deren Anführer Michael Kühnen. Die schrieb der damals 13jährige Schüler an. Warum? Petri hält seine Aktion damalige Suche nach einem Kontakt zu Neonazis für einen "pubertären Protest". Nein, viel mehr: der Jugendliche will sich selbst beweisen, ohne das zu wissen, dass er Verbote und Grenzen übertreten kann. Er sei damals extrem zurückhaltend gewesen. "Der einzige Vorteil aus meiner Zeit als Nazi ist der, dass ich nicht mehr schüchtern bin." Und Michael Kühnen fand er "beeindruckend". Einige Alt-Nazis aus Rheinalnd-Pfalz, die als "ruhig und besonnen" gelten, bestärken ihn, die richtigen Kumpane gefunden zu haben.

Auch das ist normal: kaum jemand findet über Propaganda den Weg in die rechte Szene. Es sind immer Personen, die den falschen und gefährlichen Weg ebnen, die, insbesondere für Jugendliche aus einem behüteten Elternhaus, die Perspektive bieten, Angstlust zu erleben, sich um die gesellschaftlich Geächteten und Verfemten zu scharen. "Ich wollte für etwas Gutes kämpfen, mein Ideal war der "reine" Nationalsozialismus." Was das sein sollte, wusste er damals nicht. Er musste nicht Hitler verehren, um Nazi zu sein. Petri ist gegen Gewalt. So sagt er das heute. Es bestehe immer die Gefahr, dass Einzeltäter aus der rechten Szene zur Waffe griffen, obwohl führende Nazis wie Christian Worch offiziell Gewalt ablehnten. Andere, wie der Holländer Eite Homann, propagieren den individuellen Terror. Das ist selbst in der militanten rechten Szene umstritten. Er habe schon damals kritisiert, behauptet Petri, dass die "Hilfsgemeinschaft Nationaler Gefangener" (HNG) Rechtsterroristen unterstützte, "die Menschen ermordet hatten". Er bestreitet auch als Rechtsextremist den Holocaust nicht, legt sich sogar die krude Argumentation zurecht, dass die Nazis im "Dritten Reich" in der Verfolgung politischer Gegner "übertrieben" hätten. Jemand wie Petri ist gefährlich, weil er selbst denkt, auch wenn das Gedachte einen schaudern lässt. "Ich war nie kriminell", ich war nur völlig politisch verblendet." Petri lässt sich überall sehen: In Passau bei dem jährlichen DVU-Treffen, 1993 beim FAP-Parteitag in Berlin. Er wird in Dortmund bei einer Nazi-Veranstaltung verhaftet, organisiert die Aufmärsche in Wunsiedel zum "Andenken" an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess, meldet Nazi-Demonstrationen an, verteilt Flugblätter zum Gedenken an den spanischen Diktator Franco, reist ins Ausland, mehrere Male nach Griechenland, um den Kontakt zu dortigen Nazis zu festigen, besucht den kanadischen Nazi Ernst Zündel und den obskuren Hitler Imitator Gary Lauck. Petri wird oft in Mainz gesehen, wo er Gast beim Nazi-Ehepaar Müller ist, das in seiner Gärtnerei Platz für konspirative Kadertreffen für die "Elite" der Nazis bietet. Petri steigt zum stellvertretender Vorsitzender der "Deutschen Alternative" auf, unter dem Cottbuser Frank Hübner. Nach dem Verbot der DA gründet er die "Deutschen Nationalisten", eine mehr als hundertköpfige Nazi-Truppe. Die Berliner Polizei findet später bei einem DN-Mitglied in Berlin-Hohenschönhausen 1,7 Kilogramm Sprengstoff. Damals habe er das Gefühl gehabt, mit der Gründung einer eigenen Partei "aus dem Schatten Hübners" und andere Nazi-"Größen" herauszutreten. Er habe keine Freunde unter seinen "Kameraden", gehabt er wollte sich nur mit den Anführern der Szene abgeben.

Ende 1993 erschien der "Einblick" eine Liste mit mehr als 250 Namen und Adressen von Nazi-Gegnern, denen die so genannte "Anti-Antifa", so das Pamphlet, "unruhige Nächte bereiten" sollte. Die Schrift wurde von einem Postfach in Dänemerk verbreitet und sorgte für bundesweites Aufsehen und für Empörung. Ein "Kamerad" Petris hatte schon Wochen vorher auf einem "Nationalen Infotelefon" in Mainz dazu aufgerufen, "Infos über Zecken" zu sammeln. Der damalige Oberstaatsanwalt und heutige Generalstaatsanwalt von Rheinland-Pfalz, Norbert Weise, liess Petri festnehmen, weil der angeblich an der Terrorliste beteiligt gewesen sei. "Eine reine Publicity-Aktion der Staatsanwaltschaft", so schätzt Petri das heute ein, "ich wusste gar nichts über den "Einblick"" So sah das auch das Bundeskriminalamt. Die Aktion brachte den Neonazi in die Medien, die Staatsanwaltschaft lehnte aber einen Haftbefehl ab. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.

Der Druck seitens der Polizei auf die rechte Szene hat bei Petri nicht bewirkt, dass der sich löste. Die sektierhafte Gruppendynamik im braunen Milieu wird durch Aktionen von aussen eher bestärkt. "Auch vor der Antifa hatte ich nie Angst, die waren unwichtig", so Petri heute. Er hätte sich damals auch nicht durch Gespräche überzeugen lassen. Nur engen Freunden wäre das gelungen. Hier hat Petri Glück: er hat Freunde, die nicht rechts sind, die ihn verunsichern. Er muss auf sie hören, weil die ihm etwas bedeuten. Er distanziert sich, indem er Kontakte zu "Kameraden" einschlafen lässt. Er will den Ausstieg nicht, der kommt auf leisen Sohlen. Er baut eine parallele Welt auf, wie alle Aussteiger aus klandestinen Gruppen. Der Schritt vom Alten in das Neue wird nur klein sein - wenn er sich traut, ihn zu gehen. "Ich habe mich fair verhalten", sagt Petri, ich wollte nie irgendjemanden verraten.

Dieser Weg entspricht exakt dem, was in der internationeln Suchtforschung unter dem "Maturing Out", dem "Herauswachsen" verstanden wird. Der Aussteiger bastelt sich, ohne zu wissen, was er tut, eine Brücke, einen Ausweg aus der geschlossenen Welt, in der er lebte. Wer diese Brücke einmal betreten hat, für den gibt es kein Zurück. Wer Vorteile vom Ausstieg hat, Geld, einen Arbeitsplatz oder eine neue Identitat, bleibe unglaubwürdig, bestätigt Michael Petri heute. Ja, dieser Aussteiger setze ein fatales Zeichen an die Szene und bestärke diese in ihrem Zusammenhalt, nicht "korrumpierbar" zu sein. "Vieles läuft falsch im Kampf gegen rechts. Man geht mit dem Knüppel vor, das bewirkt gar nichts. Auch zu viel Publicity ist verkehrt." Die Anführer, an die sich das Aussteigerprogramm des Innenministeriums vornehmlich richtet, seien so nicht zu beeinflussen.

Im September 1995 wurde Petri und andere Neonazis angeklagt, die verbotene "Deutsche Alternative" fortgeführt zu haben. Das Verfahren endete 81 Verhandlungstage später mir Freisprüchen für die meisten Angeklagten, Petri wurde zu einer geringen Strafe auf Bewährung verurteilt. Während des Verfahrens beschloss Petri, sich ganz zu lösen. "Wenn die mich aber eingebunkert hätten, wäre ich heute noch dabei". Die ehemaligen "Kameraden" dachten, er hätte einen "Durchhänger", distanzierte sich nur, um nicht in das Gefängnis zu kommen. In Wahrheit wollte Petri von der Szene schon nichts mehr wissen.

Seit dem Erscheinen des "Einblicks" konnte er in seiner alten Firma nicht mehr arbeiten. Er baut sich eine neue Existenz in Wiesbaden auf. Seine Eltern haben ihn nicht fallen lassen, sie unterstützen ihn auch, als er mit einem Kurierdienst Pleite geht. Petri macht in Immobilien, ohne großen Erfolg. Erst der Sex per Telefon und Internet bringt ihn weiter. Sein neuer Beruf stößt in seinem Elternhaus und bei seinen zwei Brüdern auf so wenig Gegenliebe wie seine Zeit als Neonazi. "Aber die Freunde und die Familie halten zu mir."

Einer der Mitarbeiter in Michael Petris Firma ist türkischer Staatsbürger und war von der Abschiebung bedroht. Petri setzt sich erfolgreich dafür ein, dass der Ausländer in Deutschland bleiben kann. Petri ereifert sich über die deutsche Bürokratie. "Die Ausländergesetze sind einfach unglaublich krass". Ein Satz, auf den ein ehemaliger Nazi stolz sein kann.

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