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Jungle World
am 23.02.00
.Hurra - das Kaufhaus brennt!
  - Wer auch immer es war, die Internet-Attacken der letzten Wochen zeigen, dass der Kommerz im Netz technische Grenzen hat.
Blitzkrieg im Cyberspace - ein gefundenes Fressen für die Frontberichterstatter der Medien weltweit. Wer demolierte den digitalen Kapitalismus bei Yahoo, Amazon und Ebay? Die üblichen Verdächtigen? Zutreffendes bitte ankreuzen - je nach Sympathie für die jeweilige Quelle: National Security Agency (Jungle World)? Das FBI (Chaos Computer Club)? Die Script-Kiddies (Stern)? Die deutschen Hacker (US-Medien)? Milosevic (Bild-Zeitung)? Bisher noch nicht auf der Liste: Gaddafi? Der nordkoreanische Geheimdienst mit antikapitalistischem Impetus? Ein verspäteter Millenium-Bug?

Ab und zu ist es sinnvoll, einige Fakten zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn es um das Internet geht. Geschädigt wurde niemand, einige Seiten des World Wide Web blieben - nach Angaben der Betreffenden - für wenige Stunden unerreichbar. Es gab keinen "Hack", weil nicht die Rechner ausfielen, sondern nur die Datenmenge nicht richtig verteilt werden konnte. Nicht die Server fielen aus, sondern die Router. Die Software, die die Urheber dieser bösen Tat benutzten, funktioniert wie ein Programm, das von Tausenden von Telefonen gleichzeitig die Auskunft anriefe - die dann kurzzeitig zusammenbräche. Ist das eigentlich strafbar? Muss der Verfassungsschutz beobachten?

Weitere, nicht ganz uninteressante Fakten: Im Sommer 1999 wurde das Programm Trinoo, ein Vorläufer der aktuell benutzten "TFN2K" und "Stacheldraht", auf mehreren US-Rechnern installiert. Niemand pries sich als Schöpfer der Software. In gewöhnlich gut unterrichteten Hacker-Kreisen verdächtigte man "Phifli" von einer Hacker-Gruppe mit dem hübschen Namen "Underground Central Intelligence Service" - dort ist auch dessen E-Mail-Adresse zu finden. Schon im Juni 1999 analysierten Fachleute die Software und veröffentlichen Risiken und Nebenwirkungen im Internet. Im Oktober begann eine ähnliche Software, Rechner in Europa mit - damals noch harmlosen - Attacken zu belästigen. Das CERT Coordination Center von der Mellon University publizierte mehrfach aktualisierte Warnungen, allein mehrere Male im Dezember 1999. Der gesamte Quellcode sowohl von "Trinoo" als auch vom "Tribe Flood Network", das von einem deutsche Hacker "Mixter" stammte, wurde auseinandergenommen.

Man darf vermuten, dass das FBI und verwandte Firmen über Computer-Experten verfügen. Man wusste also schon ein halbes Jahr vor den "Attacken" im Februar von "Trinoo" und "Stacheldraht". Und nicht nur die Geheimdienste, sondern auch Organisationen, die den Schlapphüten gern Sand ins das Getriebe werfen. Wieso soll also die abgebliche "Web-Sabotage" eine "harte Nuss für das FBI" sein, wie es auf der vielbesuchten Webseite des Heise-Verlags heisst? Und was soll die Straftat gewesen sein? Ausspähung von Daten? Nein, das behauptet niemand. Erschleichung von Leistungen? Ganz im Gegenteil - die Dienstleister waren unfähig, auch nur ein Bit anzubieten. Sabotage? Ist es verwerflich, einem Kaufhaus die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit zu beweisen?

Die Medienhysterie, wie gefährlich das virtuelle Umherschweifen sei und welche finsteren Gesellen sich dort herumtrieben, ähnelt dem Hype zum Thema "Neonazis" und "Kinderpornografie im Internet". Die Fakten zu diesen tabubeladenen Mythen sind durchweg von ähnlicher Qualität wie die Berichterstattung deutscher Zeitungen zu den gesundheitlichen Risiken des Cannabis-Konsums in den siebziger Jahren. Wer weiss, dass ausnahmslos jede Web-Seite einer verantwortlichen Person mit Namen und real existierenden Adresse und Telefonnummer zuzuordnen ist, wird angesichts der Berichte über die bösen Dinge, über die man angeblich virtuell stolpern kann, resignierend mit den Achseln zucken.

Warum sollte man sich aufregen? Unternehmen, deren online geschaltete Werbung niemand sehen konnte, hätten grosse Summen verloren, schreibt der "Stern" traurig. Wer lässt sich denn mit Werbebannern belästigen, die ausserdem die Ladezeit der Internet-Seiten drastisch erhöhen? Die schaltet ohnehin jeder bewusste Surfer per Optionen des Browsers aus. ("Grafiken nicht automatisch laden"). Sollen wir betrübt sein, dass unsere Computer nicht mehr mit Cookies bombardiert wurde - wie bei Yahoo? Diese kleine Dateien spionieren das Online-Verhalten aus und melden sich heimlich und ungefragt bei weiteren Besuchen auf bestimmen Web-Seiten. Cookies nützen nur den E-Commerce Firmen. Deshalb verschweigen die gern, dass jeder, der einmal die virtuelle Kühlerhaube des Browsers geöffnet hat, auch die Annahme der unangenehmen digitalen Küchlein verweigert. Der Vertrauensverlust wiege sehr, klagen die Cyberspace-Feuilletonisten. Welches Vertrauen? Nur die DAUs (dümmste anzunehmende User) vertrauen der Technik blindlings, so wie ein Autofahrer, der ohne Bremsen losfährt, weil die Herstellerfirma treuherzig behauptet, die benötige er nicht, und wenn, dann nur gegen Aufpreis.

Wie immer - die Nachricht vom Blitzkrieg im Cyberspace hat etwas Gutes. Sie erinnert daran, dass die Mutter aller Netze nicht für Kommerz gedacht war und ist. Aber auch die Idee des vernünftigen und wissenschaftlich gebildeten Nutzers, wie in der Steinzeit des Internets propagiert, ist naiv und entspricht der genauso naiven Habermas'schen Idee von der herrschaftsfreien Kommunikation. Das lehrt uns, pädagogisch ganz vernünftig, der angebliche Hacker-Angriff. Vielleicht war deshalb Johan Helsingius der Täter? Der erfand das Prinzip der anonymen E-Mail. Anonyme Remailer, die die Datenspur des Surfers schreddern, sind der Alptraum jedweder Gesinnungspolizei und der Werbewirtschaft. Oder Phil Zimmermann, der Erfinder des Standard-Verschlüsselungsprogramm "Pretty Good Privacy"? Wollte der die Welt daran erinnern, dass der Schutz der Privatsphäre nicht im Interesse grosser Firmen ist, die sich gegenseitig die Nutzerdaten verkaufen?

Wenn schon eine Verschwörungstheorie, dann sollte man auch die verdächtigen, die im Kapitalismus garantiert zu den Bösen gehören: die Kapitalisten. Das Internet ist eine Revolution: der potentiell freie, das heisst auch fast kostenlose Zugang zu allen Informationen widerspricht dem Prinzip der Gewinnmaximierung auf das Heftigste. Noch vor wenigen Jahren wurden die, die sich erdreisteten, auf Seiten des World Wide Web für kommerzielle Produkte zu werben, mit Protest-Briefen überschüttet, solange, bis sie sich zurückzogen. E-Commerce ist der natürliche Feind des Internet-Surfers, der sich gegen das Ausspionieren des Individuums und gegen das Bombardement mit "Spam" (unerwünschte Werbung) per E-Mail zur Wehr setzen will. Deshalb wird die junge Klientel in Deutschland, die Risikokapital und Dollarzeichen in den Augen hat, die Nachfolger von Kohl und Kanther sympathisch finden. Kontrolle, filtern, regulieren - alles schön ordentlich, übersichtlich, ökonomisch verwertbar. Keine Gewalt, keine Macht den Drogen.<

Aber, der Technik sei Dank, funktionieren wird das nicht. Das Internet lässt sich, wie der klassische Zauberlehrling, keine virtuellen Zügel anlegen. Wessen Interessen sind also tangiert? Diese Verschwörungstheorie ist nicht ernst gemeint, aber zu schön, um nicht erwähnt zu werden: Bertelsmann zum Beispiel ist höchst verdächtig - ein sehr grosser Kapitalist. Der Konzern plant schon seit langem ein kommerz-kompatibles Internet mit Filter-Systemen (PICS), virtuellen Blockwarten und der Selbstverpflichtung der Provider, keine anstössigen Inhalte anzubieten. "Zentrale Kontaktpunkte für die Strafverfolgungsbehörden" - wer wollte dagegen etwas sagen, insbesondere nach dem jüngsten "Denial of Service Attack"? Näheres regelt ein Gesetz, das noch zu schaffen wäre. Motto: "Verantwortung im Internet". Jugendschutz und digitale Disneyland-Hygiene inbegriffen. Schöne neue Welt des Internet-Kapitalismus: gut, dass es Stacheldraht gibt, um deren Grenzen zu markieren.

Links
Analyse von Trinoo und TFN2K:
www.cert.org/reports/dsit_workshop.pdf
www.cert.org/advisories/CA-99-17-denial-of-services-tools.html
staff.washington.edu/dittrich/misc/trinoo.analysis
staff.washington.edu/dittrich/misc/tfn.analysis
packetstorm.securify.com/distributed/
Global Incident Analysis Center - The "stacheldraht" Distributed Denial of Service Attack Tool
"Mixter"

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