Das Thema 15.3.2001


Cypherguerilla: Keine Chance für Jenny van Dyke

Jenny van Dyke, Professorin für theoretische Informatik, ist vor exakt zwei Jahren verhaftet und kurz darauf als Terroristin verurteilt worden. Die Höhe der Strafe - zehn Jahre ohne Bewährung - rief und ruft immer noch weltweit Proteste hervor. Der Schuldspruch des neu eingerichteten Europäischen Strafgerichtshofes in Straßburg stand von Anfang an unter einem ungünstigen Stern: Es gab keine Beweise, nur Indizien dafür, daß sie für elektronische Sabotage-Aktionen gegen französische und deutsche Militärprojekte und gegen EUROPOL verantwortlich war. Vorgeworfen wurden ihr auch der Verrat militärischer Geheimnisse sowie "kriminelle Verschwörung".
Die Staatsanwälte versuchten damals gar nicht erst, ihr eine Täterschaft nachzuweisen. Sie beriefen sich in ihrer Anklage auf das Delikt, van Dyke sei "Anführerin" einer "terroristischen Vereinigung" und das "Hirn" der sogenannten "Cypherguerilla" (von engl. cipher: geheime Chiffre) und damit für alles verantwortlich, was diese ominöse Vereinigung angeblich angerichtet hat. Zeugen der Staatsanwaltschaft traten nicht öffentlich auf: Die Verurteilung stützte sich im wesentlichen auf die Aussagen eines Spitzels, den die europäische Superpolizei EUROPOL in der "Cypherguerilla" plaziert und der Interna ausgeplaudert hatte. Wer dieser Informant war oder ist, darüber durfte "im Interesse einer weiteren Strafverfolgung" nichts bekannt werden.
Wer oder was ist die "Cypherguerilla"? Unstrittig keine hierarchische Organisation, gar mit einer Führerin. Eher eine diffuse, ja chaotische und nur punktuelle und "virtuelle" Vereinigung von Leuten mit unterschiedlichen Interessen: Informatiker, Kryptologen vor allem, Datenschützer, Computer-Freaks, die sich schon in den neunziger Jahren "Cypherpunks" nannten, Personen aus dem linksalternativen Spektrum, die nichts lieber tun als "dem Staat" wieder mal ein Schnippchen zu schlagen. Die "Cypherguerilla" trifft sich nicht in konspirativen Hinterzimmern, sondern im Internet. Ihre Waffen sind: Computer, das Telefonnetz und ausgeklügelte Software. Ihre Ziele: Alle Informationen und Daten der Militärs und der Geheimdienste offenzulegen.
Warum gerade Jenny van Dyke die geheimsten Unterlagen über das Projekt "Stealth-Fighter 2010" im Internet veröffentlicht haben soll, blieb das Geheimnis der Staatsanwälte und der Richter. Die Daten und Graphiken waren einfach da, über eine anonymen Rechner, wahrscheinlich in Finnland, eingespeist worden. Zwar hatte sich van Dyke dazu bekannt, daß die "Cypherguerilla" hinter dem Verrat des bis dahin bestgehütetsten militärischen Geheimnisses der europäischen Streitkräfte steckte. Sie hatte aber gleichzeitig betont, sie wisse nicht, wer konkret die Täter oder Täterinnen seien. Und wie und warum sie Gesinnungsgenossen dazu angestiftet haben soll, für mehrere Tage die Computer der EUROPOL und die des Abhörsystems SIRENE lahmzulegen, das weiß niemand, außer dem einzigen Zeugen und den Richtern.
Das harte Urteil hatte zudem den bitteren Beigeschmack, daß die Zwangeinweisung der van Dyke in eine psychiatrische Klinik aufgrund sehr fragwürdiger Gutachten zweier Psychiater erfolgte. Die beiden Herren arbeiteten für das französische Verteidigungsministerium - was eine gewisse Parteilichkeit nicht gerade ausschließt. Das wurde aber erst nach dem Prozeß aufgedeckt.
Van Dykes Chancen auf einen erneuten Prozeß stehen schlecht - es sei denn, eines von zwei unwahrscheinlichen Ereignissen träfe ein: Die wahren Täter müßten sich stellen, oder der anonyme Hauptbelastungszeuge müßte der Lüge überführt werden. Aber danach sieht es zur Zeit nicht aus. Klemens Lapotschek


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