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Dieser Text
erschien am 4.06.99
im Berliner
Tagesspiegel
.Eckpunkte der deutschen Kryptopolitik
Otto Schily machte es spannend. Schon vor drei Wochen lag dem Kabinett eine Vorlage zur deutschen Kryptopolitik auf dem Tisch. Bundeswirtschaftsminsiter Müller hatte unterschrieben, doch im Bundesministerium gab man sich zögerlich. Insider wollten von Protestfaxen der Strafverfolgungsbehörden wissen, von Beschwerden, dass der Geheimdienstkoodinator Ernst Uhrlau angeblich zu wenig informiert worden sei. Ulrich Sandl, Referatsleiter im Bundeswirtschaftsministerium, der die Vorlage erarbeitet hatte, stürzte unter mysteriösen Umständen aus dem Fenster und wurde schwer verletzt. Im Internet wucherten die Verschwörungstheorien.

Doch der Bundesinnenminister unterschrieb. Das Kabinett verabschiedete am 2. Juni die "Eckpunkte der deutschen Kryptopolitik". In Zukunft dürfen in Deutschland Verschlüsselungsverfahren ohne Restriktion entwickelt, hergestellt, vermarktet und genutzt werden. Die neue Bundesregierung beabsichtigt nicht, die freie Verfügbarkeit von Verschlüsselungsprodukten einzuschränken. Ganz im Gegenteil: sie sieht in sicheren kryptographischen Verfahren "eine entscheidende Voraussetzung für den Datenschutz der Bürger." Die zuständigen Ministerien werden die Verbreitung sicherere Verschlüsselung "aktiv unterstützen." Datensicherheit sei ein entscheidender Faktor im globalen Wettbewerb, der Produktionsfaktor "Information" ein entscheidender Rohstoff. Datensicherheit tangiere auch den Faktor Arbeitsplatz. Der Schutz der Information könne über den Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen entscheiden. Die Nutzer sollen der Sicherheit der kodierten Kommunikation vertrauen. Die Regierung strebt an, die Sicherheitsfunktionen zu überprüfen und bestimmte Produkte zu empfehlen.

Die Vorlage bemägelt das mangelnde Sicherheitsbewusstsein von Unternehmen und Bürgern, obwohl "erhebliche wirtschaftliche Schäden entstehen können", wenn Daten unbefugt ausgespäht, manipuliert oder zerstört würden. Das Innen- und das Wirtschaftsministerium haben eine gemeinsame Online-Initivative gestartet, um die Bürger über die Risiken des ungeschützen Datenverkehrs aufzuklären.

Mit der eindeutigen Positionierung ist der vorläufige Schlusspunkt unter eine jahrelange und heftige Debatte gesetzt. Das Kabinett unter Helmut Kohl hatte schon 1997 einen Bericht verabschiedet: "Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft". Dort wurde eine gesetzliche Regelung für Krypto-Produkte angestrebt. Zu dieser ist es nicht gekommen, nur zu einer Empfehlung des Bundestages, den freien Zugang zur verschlüsselten Kommunikation nicht zu unterbinden. Der vormalige Innenminster Kanther und einige Hardliner der CDU hatten die Freigabe kryptographischer Verfahren immer wieder kritisiert: auch Kriminelle könnten sichere Kommunkation nutzen und seien somit vor der Ausspähung durch die Sicherheitsbehörden geschützt. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Erwin Marschewski, sowie Sprecher des Verfassungsschutzes hatten mehrfach ein Verbot von Krypto-Verfahren gefordert.

Die aktuelle Vorlage des Kabinetts trägt den Bedenken Rechnung. Der Missbrauch der Kraptographie für illegale Zwecke sei nicht auszuschliessen. Die Bundesregierung werde daher die Entwicklung beobachten und in zwei Jahren einen Bericht vorlegen. Die Kryptokontroverse sei in vielen demokratischen Industrieländern geführt werden, und hohe Sicherheitsstandards seien noch vor wenigen Jahren für private Nutzer und mittelständische Unternehmen unerschwinglich gewesen. Die "Querschnittstechnologie" Kryptographie sei mittlerweile aber für elektronischen Handel, für Online-Banking oder für die Telemedizin unverzichtbar. Deshalb habe die Regierung in Koordination mit den anderen europäischen Partnern die Exportkontrolle für kryptographische Massengüter abgeschafft.

Experten und Datenschützer haben den Beschluss des Kabinetts erleichtert zur Kenntnis genommen. Der "Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft" (FITUG) begrüsste, dass die Bundesregierung von der "teilweise lähmenden Kryptodebatte der vergangenen Jahre" Abstand genommen habe. Es sei aber unverzichtbar, dass jetzt auch der freie Export kryptographischer Produkte weltweit in Angriff genommen werden. Nur so könne die deutsche Krypto-Industrie für den Wettbewerb fit gemacht werden. Die US-amerikanische Regierung sperrt sich immer noch gegen die völlige Freigabe sicherer Verschlüsselungsverfahren.

Die medienpolitische Sprecherin der PDS, Angela Marquardt, kritisierte, dass die Politik der Regierung widersprüchlich sei. Die Bundeswehr statte ihre Rechner soeben mit der Software "Lotus Notes" aus. Deren Hersteller IBM sei Mitglied der amerikanischen "Key Recovery Alliance", die die Position der US-Regierung mittrage, also propagiere, der Regierung einen Generalschlüssel zu überlassen. Die geplante Schlüssellänge von 56 Bit tauge kaum dazu, die Kommunikation innerhalb des Bundeswehr sicher zu machen.

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