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Dieser Artikel erschien
- stark gekürzt - am 15.05.2002
in der Jungen Welt.
.Unter Aussteigern
  - Eine Erwiderung auf Jörg Fischer -

Wer die richtige Meinung vertritt, hat gewonnen. Das war schon immer deutsche Diskussions-Leitkultur, insbesondere der linken Deutschen, soweit vorhanden. Und da es im Kapitalismus auch darum geht, Marktsegmente zu verteidigen, tobt der Kampf, wer recht habe, insbesondere unter denen, die vorher eine falsche Meinung hatten, jetzt auf die Seite der Guten gewechselt sind und anderen redselig davon berichten. "Aussteiger" aus der Neonazi-Szene sind gefragt, gilt doch ihre Meinung, wie gegen Rechts vorzugehen sei, als authentisch. Ganz gleich, ob sie sich im tiefbraunen Milieu auskennen oder nicht, zu den geistig Armen gehören oder ihre Weltanschauung je nach Bedarf wechseln.

Strittig ist jedoch, wer wie und warum seine Meinung wechselt und ab wann die neue Weltanschauung "richtig" ist. Ingo Hasselbach, der langjährige Platzhirsch zum Thema, ist es leid, seine Biografie zum Beruf zu machen. Nach mehreren Büchern und zahllosen Medien-Auftritten verweigert er sich jetzt der weiteren Vermarktung und privatisiert. Jörg Fischer, Ex-Lohnschreiber Gerhard Freys und Talkshow-gestählter "Aussteiger", kämpft jedoch mit dem Furor des Konvertiten gegen alle, die sich öffentlich von ihren ehemaligen „Kameraden" distanzieren, aber noch auf der Suche nach neuen moralichen Eckwerten sind. Fischers Lieblingsfeind ist Detlef Nolde, Ex-Neonazi aus Berlin, vormals FAP und Anti-Antifa. Beide beharken sich in diversen Internet-Foren. Nolde wirkt in der Berliner Nazi-Szene wie ein rotes Tuch, versucht er doch, seine ehemaligen Gesinnungsgenossen in Gesprächen von ihren Ideen abzubringen. Thema der Kontroverse: Fischer wirft Nolde Antisemitismus vor.

Zu Recht. Nolde zitierte, ob naiv oder nicht, seitenlang Bücher, die sich beim näheren Hinschauen als äusserst fragwürdig erweisen: Jack Bernsteins etwa: "Das Leben eines amerikanischen Juden im rassistischen, marxistischen Israel", ein Traktat, das vornehmlich von Arafat-Sympathisanten in Deutschland gelobt wird. Die zum Teil angebräunten esoterischen Thesen Noldes oder seine Verschwörungstheorien, AIDS und Ernährung betreffend, sind diskussionswürdig. Und dass das PDS-Mitglied Fischer den "Antikommunismus" - was auch immer das sei - des ehemaligen DDR-Bürgers Nolde nicht amüsant findet, ist verständlich. Immerhin liest Nolde die "Junge Welt" und zitiert zustimmend die Thesen Werner Pirkers zum Thema Israel. Auch darüber kann man streiten.

Doch darauf kommt es nicht an. Rassistische Ideen über die deutsche Nation finden sich auch bei Bundestagsabgeordneten, die keine Nazis sind. Norbert Geis (CSU) proklamierte bei "Vorsicht, Friedman!" zustimmend den Satz „Deutschland den Deutschen". Und Vertreter der jüdischen Gemeinde sind nicht erfreut, dass sich Bundeskanzler Schörder zu einem öffentlichen Plausch mit Martin Walser trifft, der bemerkt haben will, dass der Holocaust als "moralische Keule" geschwungen werde.

Ein "Aussteiger" ist dann glaubhaft, wenn er sich öffentlich von seiner Vergangenheit distanziert und demokratische Positionen vertritt. Und wenn er bereit ist, seine Meinung zu ändern. Auf Nolde trifft letzteres zu. Fischer hat hier einen erheblichen Nachholbedarf. Das zeigte sich auch in einem Gespräch, das vor einigen Wochen zwischen den beiden Aussteigern stattfand. Wer, wie Fischer, fordert, gegen rechte "Internet-Seiten" vorzugehen, vertritt zwar den gut gemeinten orthodoxen Antifaschismus, sieht sich aber in einer gemeinsamen Front mit Zensur-Befürworten wie der Bezirksregierung Düsseldorf und ihrem technisch absurden Ansinnen, den sittlich gefährdeten Untertanen zu verbieten, sich über das Böse online zu informieren. Ob das das effektivste Vorgehen gegen Rassismus und Antisemitismus ist, ist zumindest strittig.

Vollends unglaubhaft wird Fischer, wenn er glaubt, über Aussteiger dürfe nur mit deren Einverständnis berichtet werden. Michael Petri, Ex-Nazi und ehemaliger Chef der "Deutschen Nationalisten", verweigert sich dem Medienrummel - und den ominösen "Aussteigerprogrammen" ohnehin. Das macht ihn sympathisch, doch seriöse journalistische Recherche kann auch etwas herausfinden, wenn der Betreffende sich verweigert. "Aussteiger" zu sein ist weder eine Berufung noch ein Beruf. Und wenn Fischer Journalisten interne und arbeitsrechtlich relevante E-Mails der Mitarbeiter des "Exit"-Aussteigerprogramms zuspielt, wie im letzten Jahr geschehen, obwohl er angeblich "ein gutes Verhältnis" zu "Exit" hat, darf man getrost fragen - wie im "Polizeiruf 110":Was ist das Motiv?

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